Bühnenkünstler für Planbarkeit und Entlastung: #StoppNVFlatrate

Vor dem Hintergrund jahrelanger und fruchtloser Tarifverhandlungen zum Thema "Arbeitszeit des künstlerischen Personals" führten die drei Bühnengewerkschaften BFFS, GDBA und VdO im Februar 2024 erstmals eine gemeinsame Kampagne unter dem Motto #StoppNVFlatrate durch. Sie sollte in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen von Künstlern an deutschen Bühnen wecken und vor allem auf die nahezu permanente Verfügbarkeit der Beschäftigten für den Arbeitgeber aufmerksam machen.

Für die Verbandszeitschrift Oper&Tanz (Ausgabe 02/24) habe ich über die Vorbereitung der Kampagne und über die Aktionstage berichtet.


Köln, Herbst 2023. Als frisch gewähltes Mitglied des VdO-Bundesvorstands nehme ich erstmals an einer Klausurtagung teil. Zusammen mit Vertretern von GDBA und BFFS werden wir zwei Tage lang Positionen, Ideen, Informationen tauschen, anstehende Tarifverhandlungen inhaltlich vorbereiten und vieles mehr, wovon ich bislang noch kaum eine Ahnung habe. Mit einem unbestimmten, etwas flauen Gefühl wie am ersten Schultag betrete ich unseren Versammlungsort, begrüße die bereits vertrauten Kollegen, tausche Handschläge mit neuen, mir bis dahin nur von Fotos oder aus den Medien bekannten Menschen, finde einen Platz am Versammlungstisch, packe Laptop, Notizbuch und Stift aus; juristische Fachbegriffe sausen durch den Raum, ich schreibe einfach mit, um es vielleicht später zu verstehen und irgendwann fällt das Stichwort „Kampagne“. Ein Projekt, das Monate zuvor auf den Weg gebracht wurde. Es geht um Arbeitsbedingungen von künstlerisch Beschäftigten und dass der Arbeitgeber wie bei einer Flatrate auf seine Künstler nahezu unbegrenzten Zugriff hat. Deswegen: #StoppNVFlatrate. Im Austausch wird einander zugehört, nachgedacht, Kreativität erfüllt den Raum - und in meinem Kopf erscheint plötzlich so ein kleiner Funke, hier, in dieser für mich völlig neuen Runde, am richtigen Platz zu sein.

Innerhalb weniger Wochen nimmt die Kampagnenplanung mehr und mehr Gestalt an: was soll konkret geschehen, welche Aktionen können durchgeführt werden, was benötigen wir an Material? Die Ideenschmiede läuft auf Hochtouren, die Synapsen glühen - Flyer, Postkarten, Pressemappe, Webseite, Solidaritätsaktionen an den Häusern… Entwürfe werden diskutiert, Formulierungen geschärft, Korrekturen im Backoffice geschrieben, immer wieder die Frage: wie können wir unser Anliegen am effizientesten vermitteln? Es fühlt sich an, wie eine Lokomotive, die nun immer mehr ins Rollen kommt und einfach nicht mehr zu stoppen ist.

Mir wird zuweilen ein bisschen schwindelig: Ist das alles zu schaffen? Wieviel Zeit haben wir überhaupt, wird es möglich sein, die Kollegen zum Mitmachen zu motivieren? Was muss bis wann fertiggestellt sein, wer soll wann informiert werden? Einem Schlachtplan gleich entsteht die Choreographie für den zeitlichen Ablauf: Information für Funktionsträger und Mitglieder, Paketversand, Pressekonferenz… Wir segeln hart am Wind.

Aber, es funktioniert! In Landes- und Ortsverbänden finden sich Mitglieder von VdO, GDBA und BFFS zu kleinen Einsatzkommandos zusammen, Pläne werden besprochen, gemeinsam Texte verfasst, Aktionen geplant. Und allein für diese kollektiv beflügelnde und extrem solidarische Energie hatte sich der bisherige Aufwand bereits gelohnt!

Und schließlich ist es soweit: 14. Februar - Valentinstag, Aschermittwoch, Kampagnenstart.

Am Düsseldorfer Opernhaus warten wir weiterhin auf das Paket mit Flyern, Aufklebern und Postkarten. Atemlos fliegen Nachrichten im „Aktions-Chat“ hin und her: „Hat noch mal jemand an der Pforte nachgefragt?“ - „Immer noch nichts?“. Auf die Schnelle lassen sich schließlich ein paar Flyer aus dem Schauspielhaus organisieren. Der Kampagnen-Auftakt ist erstmal gerettet, ein Selfie entsteht und Premierenlaune breitet sich aus. Gegen Mittag kommt nochmals die Post und bringt endlich das ersehnte Paket. Ein bisschen fühlt es sich an wie Weihnachten.

Die Stimmung bekommt einen Dämpfer, als wir im Laufe des Tages erfahren, dass der Bühnenverein seinen Mitgliedern empfiehlt, sämtliche Aktionen an den Häusern zu unterbinden. Also kein Verlesen des gemeinsam verfassten Statements vor dem Publikum, kein Verteilen von Flyern und Postkarten im Foyerbereich. Und auch keine Kampagnenfotos mit solidarischem Publikum.

So landen wir an den folgenden Abenden buchstäblich auf der Straße, vor dem Opernhaus. Der Kontrast könnte nicht härter ausfallen: gestern noch beim Schlussapplaus frenetisch bejubelt und heute plötzlich statuslos vor den Toren des eigenen Betriebes, wie die Hausierer, mit Flyern in der Hand. Straßentheater der etwas anderen Art, was ziemlich viel Energie kostet.

Leute eilen genervt an uns vorüber, wollen nicht aufgehalten werden. Ich verstehe das - und verspreche im Stillen, künftig anders auf die Verteiler von Info- oder Werbematerial zu reagieren. Zumindest Hinschauen, zumindest Danke sagen. Es sind auch Menschen.

Andererseits treffen wir auf viele ernsthaft Interessierte, spüren deren Liebe zum Theater und zur Kunst, werden mit aufmerksamen Nachfragen konfrontiert, zuweilen ergeben sich tiefgreifende Gespräche - und, so herausfordernd diese ungewohnte Arbeit auf dem Pflaster auch ist, bleibt sie eine wertvolle Erfahrung, die meinen Blick auf die Welt in der Summe umfassender und in gewisser Weise weicher gemacht hat.

Durch Pressemitteilungen und die sozialen Medien verbreiten sich während dieser Tage tolle, unterstützende Statements von Journalisten und prominenten Künstlern, die sich mit unserer Aktion solidarisieren.

Aber auch aus der Leitungsebene mancher Theater kommen hoffnungsvolle Signale; nicht alle haben sich der Verbots-Empfehlung des Bühnenvereins gebeugt: Das Staatstheater Hannover zeigt an Vorstellungsabenden im Foyer sogar den Kampagnenfilm und außerdem einen Saal voller Zuschauer, gelbe Flyer bekennend in die Kamera haltend. So auch am Landestheater Tübingen, in Konstanz, an den Theatern Dortmund und Krefeld-Mönchengladbach.

Diese Intendanten haben intuitiv verstanden, dass die künstlerisch Beschäftigten der eigentliche Treibstoff ihrer Betriebe sind, dass nur gesunde und im sozialen Leben verankerte Schauspieler und Sänger wirklich kraftvolle Botschafter der Kunst sein können und - last not least - dass eine verbesserte Planbarkeit und Entlastung nicht allein den Künstlern dient, sondern dass ein wirklich guter, produktiver und nachhaltiger Kunstbetrieb ausschließlich im Miteinander gelingen kann.

In diesem Sinne einen ganz herzlichen Dank an alle, die sich beteiligt haben, die mit ihrer Zeit und ihrem Herzblut Teil der Kampagne geworden sind und gezeigt haben, dass wir gemeinsam etwas bewegen können!

Sibylle Eichhorn (Landesvorsitzende NRW und Mitglied des Bundesvorstands).