Lyrik 1988 - 2000



Zwischen dem Sand
dein grasbeschuhter Fuß
und dein Ohr
neben all den anderen Muscheln -
so durchspülte ein Sommer
die Öffnungen unserer Leben
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Kein Frühling mehr

Kastanienblüten
nass zu meinen Füßen
abgewandt dein Blick
gelber Widerschein auf deiner Stirn
Worte die mich nicht meinen
im Würgegriff deines Lachens meine Seele
totgeschlagen
die Sekunden deiner Hand
auf meiner
Du
wieder
ein Fremder
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"...damit ich balde schlafen kann." *)

brüchig der Boden
und die alten Mauern
nicht was sie waren
von dort
nie mehr
der Blick über Dächer
von den Wänden gewaschen die Traumbilder
nie mehr für mich deine Stimme
und wenn ich die Augen schließe
nie mehr dein Blick

*) Zitat aus Heinrich Heine "Buch der Lieder"
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Nach-Ruf

fortgeschwiegen
abgetaucht
dein Lächeln verscherzt
wie Sand durch die Finger
hohnirrlichternd
störrisch
blutend
mein Herz
mir aus dem Kopf
dich schlagen
dich schreiben
endgültig
und in den Wind
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Tiefer dringt der Erdgeruch
in die Furchen des vergessenen Sommers
und als sänge es von der Liebe
blutet das Weinblatt
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Ein Abendhimmel
entführt die kahlgesichtigen Dächer
deine Braue
schlägt nicht mehr ihr Rad über mir
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Herbstland

Sommerfäden im Haar
liege ich brach
ungeebnet
traumdurchzogen
und den vom Salz gebrannten
den Schweigespuren
folge ich
wie einsames Wild
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Dieser kratzigen Erde verwandt
zwei endliche Landschaften
liegen wir
Die Käfer denken
es hätte uns immer gegeben
und irren durch die Unebenheiten
unserer Leiber
Ein Stück vom Himmel
scheint zu lächeln -
wir sehen hinauf
und glauben
an Gott
und die Welt
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Nahtlos

Am Ende meiner Träume
atmete ich den Duft erwachender Erde
und deine Augen
nahmen mir die Dämmerungsschleier
dann tauften wir unsere Körper
auf mondbeschienene Namen
die tags in den Seerosen wohnen
und im Brunnendunkel der Küsse
verschworen sich
deine und meine
Gesichter
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Amseltag

Von unserem Gehen
knirschte der Kies
wir waren an so vielem
nicht gestorben
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der Frühling
kommt mit frostigen Wangen
Liebe hat andere Gesichter
für dich
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Berliner Morgen

Laut poltert Licht
durchs offne Fenster rein
Ein Radiosprecher
nennt den Morgen hier
den schönsten
und von den Dächern und Balkonen
Antennen in den Himmel schrei'n
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Wir entdeckten einander
in der Verschalung von Worten
und es zitterte unser Schweigen
als wir merkten
dass die Befestigungen schon hinter uns lagen
Da erschraken wir sanft
vor dem Klang lange vergrabener Sprachen
und schmeckten das rastlose Blut
unter dünneren Häuten
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Dünnhäutig lebe ich immer
weil ich nur weinen möchte
die Augen mir aber dürsten
weil ich den Schatten gehörte
und weil
bis die Helle hereinbrach
ein Gott war
ich jetzt aber
niemandem wieder erblinde
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herbst

goldblattpflaster
himmelsschwere
nebelqual
gedankenleere
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Kühl perlt sich der Herbst
durchs Gedächtnis
auf fremden Wegen
zieht er Fäden
vergangener Jahre
reißt sie
aus meinem
noch nicht verschmerzten
Leben
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Was uns blieb
war ein Mond hinter Gittern
ein aufhaltsamer Traum vom Weiterleben
der Duft bitterer Weiden
und manchmal
ein Rauschen wie von Flügeln
wie neugeborenes Leben
ein Schrei
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Die Auswahl der hier vorgestellten Gedichte ist in den Jahren 1988-2000 entstanden.
Eine Weiterverwendung der Texte darf nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch die Autorin Sibylle Eichhorn erfolgen.